Hallo alle Lkw-Oldie-Interessierte,
wir werden von den Bausatzherstellern nicht gerade verwöhnt. Nach den drei hervorragenden Bausätzen von Revell war entgegen ursprünglicher Planung Schluß. Bleiben also nur Wiederauflagen der Halb-Oldies von AMT/Ertl. Scratchbau ist nicht jedermanns Sache. So wird mancher Frustrierte früher oder später mit dem Kauf einer Gießharzkabine liebäugeln. Da der Bau von Gießharzkabinen im Forum anscheinend bislang kaum besprochen worden ist, sind für Interessierte vielleicht einige grundsätzliche Anmerkungen hilfreich.
Die bekanntesten Hersteller von US-Oldie-Gießharzkabinen sind AITM und Illini. Als ich das erste Mal deren Produktionsprogramm sah, ging es mir wie dem Hund im Fleischerladen.
Zu Illini kann ich wenig sagen. Meiner sehr konkreten Mail-Nachfrage zu Verfügbarkeit und Frachtkosten wurde nie eine Antwort zuteil. Kundenfreundlichkeit geht anders.
Dave Natale, der Betreiber von AITM (=American Industrial Truck Models) beantwortet hingegen Mails freundlich und postwendend, er liefert schnell und zuverlässig und ist bei den Frachtkosten zurückhaltend. Eine Kabine kostet $ 60-80 plus Fracht, die Bezahlung mit PayPal ist ein Klacks. Die deutsche Zollabfertigung ( stets 19% Einfuhrumsatzsteuer, nur ab € 150 Warenwert zusätzlich ca. 5% Zoll) dauert 15-30 Minuten. Es wird naturgemäß ein Spenderbausatz (am besten AMT/Ertl) für das Fahrgestell benötigt; für eine Mack-Kabine muß es wegen der Mack-typischen Fahrgestell-Eigenheiten ein Mack-Bausatz sein. Diese werden z. Z. nicht produziert, sind aber trotzdem bei amerikanischen Versendern (z. B. Model Roundup) erhältlich, jedoch zu deutlich erhöhten Preisen. Der Bau ist also insgesamt deutlich teurer als bei Spritzgußmodellen; da er einen aber auch deutlich länger beschäftigt, sind sozusagen die Kosten pro Bastelstunde auch nicht höher.
Wo also liegt das Problem?
Das Problem ist, daß es nicht d a s Problem gibt, sondern eine ganze Reihe gießharztypischer Probleme. Ich will hier nicht den Bau von Gießharzkabinen zur Geheimwissenschaft aufblasen. Es sollte nur jeder vorher wissen, auf was er sich einläßt.
Recherche
Geliefert wird mit der Kabine idR spärliches oder gar kein Informationsmaterial zum Originalfahrzeug. Alle wichtigen Informationen ( Radstände, Fahrgestellhöhe, Rädergröße, Positionierung des Fahrerhauses auf dem Fahrgestell und sehr vieles mehr) müssen selbst beschafft werden. Fast alles ist mit entsprechender Ausdauer im Netz zu finden, jedoch nicht für alle Fahrzeuge. Bevor ich etwas bestelle, prüfe ich daher immer erst, wie die Informationslage im Netz ist.
Klein- und Ergänzungsteile
Mit der Kabine werden zwar zahlreiche, jedoch nicht alle Kleinteile mitgeliefert. Diese sind aber aus Weißmetall, was zweifach unerfreulich ist: zum einen ist die Gußqualität überwiegend schlecht, zum anderen besteht nach Blankpolieren und Klarlackauftrag die Gefahr, daß sie irgendwann wieder dunkel anlaufen. Vieles kann man deshalb besser dem Spenderbausatz entnehmen. Ansonsten ist ein gutes Teilelager unverzichtbar.
Allgemeine Gießqualität
Man muß sich vergegenwärtigen, daß die Formen für die Kabinen m W. aus den Siebzigern stammen. Nicht nur waren die Ansprüche an Oberflächendetails damals anders, seither sind die Formen auch nicht besser geworden. Während beim Öffnen des des Kartons alles sehr erfreulich wirkt, ernüchtert das genauere Hinsehen. Es gibt idR zahlreiche kleine Gießfehler, Spaltmaße sind sehr unterschiedlich, Details sind teilweise grob und an manchen Stellen stimmt, wohl aus formtechnischen Gründen, die Vorbildtreue nicht ganz. Einige separate Zubehörteile, wie z. B. Luftfilter oder Auspuffteile, sind von so schlechter Gießqualität, daß man sie zu nichts verwenden kann, aber unproblematischerweise eigentlich immer durch Spritzgußbausatzteile ersetzen kann. Insgesamt ist sehr viel Nacharbeit und zuweilen auch etwas Eigenbau erforderlich.
Kühlergitter
Kühlergitter werden ebenfalls aus Gießharz hergestellt, sind im ungünstigen Fall sogar angegossener Bestandteil der Kabine. Eine Nacharbeit mit zufriedenstellendem Ergebnis ist zumindest mir nicht möglich. Hier hilft nur Selbstbau, was machbar, aber außerordentlich schwierig ist. Ich empfehle deshalb, Kabinen mit Kühlerjalousie zu nehmen, wo es das Problem nicht gibt.
Verglasung
Zu den Kabinen wird keinerlei Verglasung geliefert. Gemäß dem Beipackzettel der Kabine soll nach einer beigefügten Zeichnung eine Windschutzscheibe aus Klarsichtmaterial geschnitten und dann mit einem Bett aus Weißleim in der Fensteröffnung befestigt werden. Dies wurde auch bei allen von mir gesehenen Modellen so gemacht. Um aber die Verglasung einigermaßen fest einzusetzen, muß Weißleim in erheblicher Menge eingesetzt werden. Weißleim trocknet aber von einer gewissen Schichtstärke an nicht tranparent, sondern undurchsichtig weiß. Dadurch haben auch ansonsten gut gebaute Modelle einen auffälligen, unregelmäßigen weißen Ring um jedes Fenster, was zumindest nach meinem Empfinden das Modell völlig verdirbt. Wer dies vermeiden will, muß die Verglasung unter erheblicher Nacharbeit der Kabine klebstofflos befestigen. Ein von mir angewendetes Prinzip habe ich vor einigen Tagen bei der Vorstellung meines Büssings bei den Euro-Lkw in groben Zügen nachgetragen. Sofern an einer ausführlichen Darstellung im Zusammenhang mit einer Gießharzkabine ausreichend großes Interesse bestehen sollte, bitte ich, dies hier zu posten.
Um dies nochmals ganz deutlich zu sagen: Ich will weder die AITM-Kabinen schlechtreden, noch jemanden vom Bau abschrecken - ganz im Gegenteil bin ich aufgrund der einzigartigen Vorbildfahrzeuge nach wie vor begeistert und werde jedem zuraten. Ich möchte nur, daß der Interessierte weiß, was auf ihn zukommt.
Ob sich die vielen Worte zu dem Thema überhaupt lohnen, läßt sich vielleicht anhand der folgenden Bilder beurteilen. Die wesentlichste Nacharbeit bestand hierin:
- Anfertigung des Kühlergrills samt Scheinwerfern
- Anfertigung der fahrzeugtypischen Stoßstange
- Umbau der Butterfly-Motorhaube in eine kippbare Haube mit den formschöneren Kotflügeln
- Spiegelarme aus Metall
- Klebstofflose Verglasung
- Neuanfertigung der Inneneinrichtung
Der Gasauflieger ist scratchgebaut.
Gruß an alle, ganz besonders jene, die ich nicht abgeschreckt habe
Jürgen