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Donnerstag, 9. November 2023, 02:29

Ankersegel ... ihr vermutlicher Sinn und Zweck ... und ihre Herstellung

Nun ... "Ankersegel" ... zugegebenermaßen ist es sicher nicht "der" Fachbegriff für eine Art und Weise, eine Technik, mit der nachweislich im goldenen Segelzeitalter die Segel geborgen wurden.
Aber es ist ein sehr anschaulicher Begriff, den wir hier im Forum immer wieder für die so geborgenen Segel verwenden.

Da wir hier auch immer wieder dieses Thema der "Ankersegel" anschneiden habe ich im Laufe der vergangenen Jahre Gemälde und auch Gemäldeausschnitte gesammelt, die genau diese "Ankersegel" beinhalten ... zum Teil auch überraschend detailliert darstellen.
Dies im Sinne einer Art Grundlagenforschung ... sowas dauert halt und ist auch irgendwie nie fertig.

Hier möchte ich, soweit das die mir vorliegenden Gemälde und Graphiken zulassen, den chronologischen Vorgang der Herstellung dieser Segel darstellen.

Ich möchte auch noch vorausschicken, daß ich keine standartisierte Größe gefunden habe.
Sie sind sich alle ähnlich, sehr ähnlich sogar in ihrer charakteristischen Form.
Aber sie sind auch immer wieder unterschiedlich hinsichtlich der Höhe der nach oben gebogenen Hörner.
Vermutlich wurden sie einfach angefangen und letztendlich soweit nach oben gebogen wie es ging.
Das war eben mal höher und das nächste mal eben nicht.
Es noch ein zweites Mal zu machen war möglicherweise zuviel Aufwand ohne dabei etwas grundlegend zu verbessern.

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Los gehts:

Anklicken zum Vergrößern





Wir finden diese "Ankersegel" auf einer Vielzahl von Gemälden sehr berühmter und für ihre detailgenauen Darstellungen bekannter Künstler wie die Van der Veldes, Backhuus und anderen.
Ich kann somit davon ausgehen, daß diese schon wußten was sie darstellen und dies auch korrekt getan haben.
Ebenso leite ich davon ab, daß sich somit nachweisen läßt, daß es eine anerkannte, probate Technik war, die über einen längeren Zeitraum angewendet wurde.



Wozu gab es sie ?
Ich kann nur Vermutungen anstellen, daß diese Technik es erlaubte die Segel mit verhältnismäßig geringem Windwiederstand zu verstauen und gleichzeitig einsatzbereit zu halten.
Die Segel schmiegen sich durch Taue gebunden geradezu an die Rah und an den Mast ... der untere Teil liegt im Mastkorb auf, die Enden spitz nach oben gebogen, was uns letztendlich an den namensgeben Anker erinnert.

Die Enden der Segel sind aber nicht lose sondern nach wie vor mit ihren Tauen verbunden ... müssen somit gar nicht erst erst verbunden werden.
Halsen, Brasse , Schoten und noch viel mehr, dessen Namen ich ehrlich gesagt nicht kenne, bleibt offensichtlich dran um sofort einsatzbereit zu sein.


Womit wir zu Punkt zwei kommen:
Gleichzeitig erlaubte es diese Technik, vermutlich mit dem Lösen von nur ein paar wenigen Tauen im Mastkorb, genau diese Segel in kürzester Zeit zu setzen.
Mit minimalem personellem Aufwand ... vielleicht notfalls nur ein oder zwei Personen ... quasi auf einen Alarmstart vorbereitet zu sein.
Doch dazu am Schluß noch mehr !

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Wichtigster Punkt: Wie wurden sie hergestellt ?

Nun , dann schauen wir den schwer arbeitenden Seeleuten doch mal zu wie sie das machten:

Das Schiff kommt in den Hafen ... es soll kein besonders langer Aufenthalt werden ... deswegen sollen die Segel auch drauf bleiben.
Wenns Wetter taugt werden die Seegel auch ein wenig zum Trocknen gehängt ... dann läßt sich das deutlich leichtere Segel auch besser in Form bringen:





Auf dem vorigen Bild/Gemälde sind sie schon emsig am werkeln ... trotz unterschiedlicher Gesamtsituationen und unterschiedlicher graphischer Darstellung in der nächsten Graphik/Grisaille scheinen beide Bilder eine direkte Abfolge darzustellen.



Laß uns das Ganze doch ein wenig genauer anschauen:

Beachtet nicht nur das Ankersegel sondern hier auch die etwas unterschiedliche Vorgehensweise bei Fock-/Großsegel direkt darunter:
Wie wir sehen werden auch Fock und Großsegel in eine Form gebracht.

Sie können ja nirgendwo in einem Mastkorb aufliegen. Deshalb werden sie gerefft und mit zwei Spitzen ( Segelenden ) nahe des Mastes fixiert .
Das Lösen auch dieser Spitzen öffnet somit fast schlagartig das ganze Segel.





Noch genauer ? Aber gerne !





Der gesamte Vorgang hatte, wie es scheint, immer eine ähnliche Vorgehensweise ... von oben nach unten ... von Heck zum Bug ... Mast für Mast ... .
Obwohl die obersten Segel zum Teil auch schon vorher fertig zu sein scheinen.

Anhand der vorliegenden Graphiken im Folgenden gezeigt:







Zu guter Letzt, insbesondere um meine Theorie des schon oben beschriebenen" Segel-Setzens mit minimalem personellem Aufwand" zu verifizieren, zeige ich hier ein Gemälde von Adam Willaerts, 1577-1669.

Das Gemälde heißt bezeichnenderweise "Vaisseau appareillant" … also "Schiff setzt Segel" !
Es zeigt die "La Vierge" 1638, die zum Flottenbau und Einkaufsprogramm Richilieus in Holland gehörte.
( Schön auch wie man die Heckgestaltung mit den Doppeltürmen sehen kann … erinnert sehr an die Saint Louis ... nur etwas kleiner )

Schaut euch das an ... da sind nur ein, vielleicht zwei Mann pro Segel tätig .... und das funktionierte ! ( Zum Vergrößern draufklicken )




Ich hoffe, daß diese ( vermutlich unvollkommene ) Darstellung der Schritte dem einen oder anderen Modellbaukollegen hilft solche Segel auch im Modell darzustellen.


Abschließend noch ein paar weitere Impressionen, die beweisen, daß diese Art und Weise Segel zu sichern auch oder gerade bei Stürmen verwendet wurde:



index.php?page=Attachment&attachmentID=541792




Weitere Ergänzungen und Anmerkungen zu diesem Thema sind sehr willkommen und werden das Thema "Ankersegel" sicher bereichern.
Grüße aus dem "Wilden Süd-Westen"
Markus

"When all else fails ... Read the instructions" ( LINDBERG 1965 )

Youth, talent, hard work, and enthusiasm are no match for old age and treachery !
( In memoriam Prof. John A. Tilley, † 20.07.2017 )

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Donnerstag, 9. November 2023, 15:22

Noch Gedanken/Hinweise

Wir befinden uns hier noch in dem Zeitalter, in dem noch keine Fußpferde verwendet wurden. Das sieht man an der Rittlingsstellung auf den Rahen.

Das heißt zum Segel bergen musste sich auf dem Bauch liegend nach Außen vorgearbeitet werden. Dies war bei böhigem Wind oder Sturm bestimmt keine leine Übung, geschweige denn ein sicherer Platz zum Zusammenraffen der Segel.

Deswegen wurde damals - wie auch später noch - die Topstenge bis zum Eselshaupt abgefiert. Auf der Mars hatte man einen stabilen Stand und konnte hier das Tuch in der Mitte zusammenziehen und dadurch ergibt sich schon fast die mittige Wurst. Auf dem Detailausschnitt ist noch keine Drehung zu erkennen, die kam wahrscheinlich danach rein, um die Wurst enger zu fassen. Wenn die Schothörner dabei nicht ausgehängt werden, dann ergibt sich fast automatisch die Ankerform, da außer der Verdrehung keine Möglichkeit des Stauens besteht. Auch für das Verzurren ist es mit der mittigen Wurst leichter sich auf der Rah nach außen zu arbeiten, zusätzlich hat das Zusammenbinden jetzt viel weniger Tuch, war also bedeutend einfacher.

Erst mit Aufkommen der Fußpferde konnten die Seeleute dicht an dicht mit vereinten Kräften die Segel hochholen. Das ist die Zeit, in der auch diese Art des Segelbergens nicht mehr in der Kunst dokumentiert ist.

Grüßle, DAniel
... keine Angst, der will doch nur spielen ...



Feinste Ätzteile für HMS Victory 1:100
http://www.dafinismus.de

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Sonntag, 12. November 2023, 16:41

Ich war ein paar Tage auf Exkursion in der Hauptstadt und kann mich erst jetzt wieder melden.
Markus, ganz herzlichen Dank für diese neue Lieferung wunderbar großformatiger und instruktiver Abbildungen. Ich denke, niemand kann jetzt mehr an der Existenz der „ankerförmigen“ Segel zweifeln.
Ganz besonders haben mich natürlich die Darstellungen interessiert, auf denen man erahnen oder sogar sehen kann, wie es zur "Formung" eines Ankersegels kommt.




Was geschieht hier? Die Großmarsrah ist herabgelassen worden, bis zu einer Höhe etwas über dem Eselshaupt. Die Nockgordings (angreifend am Liek auf etwa ein Drittel der Höhe) sind angezogen und holen damit die oberen Seiten des Segels etwa zur Mitte der Rah. Die Matrosen auf der Rah sind dabei, das Segeltuch zwischen der Rah und dem Angriffspunkt der Nockgordings unter die Rah zu binden.

Soweit scheint mir die Sache klar. Aber wie ist es zu der Form der Segeltuchmasse unterhalb dieses Bereiches gekommen? Will sagen bis zum Mars und darüber hinaus, also hinunterhängend. Im linken Teil könnte ich mir vorstellen, dass die Segeltuchmasse von einem Geitau heraufgezogen wurde. Das sieht man nicht, weil es sich auf der Rückseite befinden muss, aber man sieht das starke Schot, das zur Nock der Großrah führt.

Würde mich sehr interessieren, welchen Reim ihr euch darauf macht.
Schmidt
Restaurierung eines Werftmodells aus dem Jahre 1912 jetzt als Webseite: http://kaiserfranzjoseph.de/
Über das Bemalen mit Humbrol- und Ölfarben: http://www.wettringer-modellbauforum.de/…9193#post739193

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Sonntag, 12. November 2023, 18:44

Ich würde zum Thema ein bzw. zwei Bücher empfehlen. Harland: Seamanship in the age of sail und Anderson: Seventeenth Century Rigging. Schon weil man dann die Skizzen dazu hat, die hier aus rechtlichen Gründen fehlen.

Beim wie Harland es bezeichnet alten Stil, also das Segel zu dieser Wurst mit Hörner zu binden wurde eine Furline pro Seite verwendet. Vermutlich wurde der Teil des Segels zuerst festgemacht welcher nach dem Festmachen an der Rah anliegt, der größere Teil vom Segel formt die Wurst mit Hörnern und wurde ebenfalls mit der Furling line festgebunden das ergibt dann das gequetschte Aussehen des im vertikalen Bereich an der Stenge festgemachten "Ankersegels" sowie der Hörner vom Ankersegel. So verstehe ich das jedenfalls

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Sonntag, 12. November 2023, 18:53


Ich denke man sollte sich die Bücher anschauen.

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