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Sonntag, 28. Februar 2021, 12:20

Thomas Graham: Aurora Model Kits

Thomas Graham: Aurora Model Kits. A Schiffer Book for Collectors. 2006. (www.schifferbooks.com) Ca. 30 Dollar
Erstmals 1998 und in letzter (?) Auflage 2006erschienen, resümiert dieses sehr reich illustrierte großformatige Paperback die Geschichte der amerikanischen Firma Aurora vom Beginn im Jahr 1952 bis zum Einstellen der Bausatzproduktion im Jahr 1977. Auroras Geschichte ist typisch für die jener Firmen, die an dem gewaltig großen, aber auch gewaltig kurzen Boom des Plastikmodellbaus Anteil hatten. Ein Stück Industriegeschichte rund um einen extrem populären Gegenstand, mit dem wir es als Modellbauer der soundsovielten (und womöglich letzten?) Generation bis heute zu tun haben. Ich kann das Buch sehr empfehlen, auch wenn die Aurora-Produktion im Bereich Schiffe eingeschränkt war und nur wenige der Modelle es in den Bereich des „ernsthaften“ (scale) Modellbaus geschafft haben.
Ich habe eine Seite aus dem Buch übersetzt, in der die Produktionsabläufe in den fünfziger Jahren geschildert werden. Ganz ähnlich wird es auch bei anderen Firmen in ihrer „Garagenphase“ zugegangen sein.

Der Formenraum war zwanzig Jahre lang Henry Kolodkins Lebenswelt bei Aurora. Hier, in einer Atmosphäre von Lärm und Hitze, vollzog sich das tatsächliche Geschäft der Firma. Dutzende von Maschinen, voll mit fünfhundert Grad heißem Plastik, machten die Werkstatt so warm wie eine Bäckerei. Das Wasser, das zum Kühlen der Maschinen benutzt wurde, wurde durch Schläuche aufs Dach geführt, wo Rasensprenger es in dem weitgehend fruchtlosen Versuch versprengten, das Gebäude zu kühlen.
Der Lärm der Maschinen, die sich schlossen, geschmolzenes Plastik in die Formen drückten und dann wieder aufsprangen, war ohrenbetäubend. „Du konntest dich selbst nicht denken hören“, sagte Kolodkin – der gewöhnlich auch außerhalb der Werkshalle mit lauter Stimme sprach. Jede der vierzig Maschinen hatte ein bestimmtes Arbeitsgeräusch, und erfahrene Arbeiter konnten an diesem Geräusch hören, ob die Maschine richtig lief oder nicht.
Aurora erledigte die Verpackung direkt an den Maschinen, umso die Effizienz zu vergrößern, denn jeder Aufteilung der Arbeitsvorgänge hätte die die Arbeits- und Maschinenkosten vergrößert. Jeder Maschinenbediener hatte neben sich einen Tisch, vollgepackt mit Nachschub. Während die Maschine in ihrer geschlossenen Phase war, legte der Arbeiter eine Bauanleitung, ein Blatt mit Abziehbildern, einen Ständer, eine durchsichtige Führerkanzel oder andere Ergänzungsteile in eine offene Bausatzschachtel. Wenn die Form sich öffnete, entnahm er das Gussteil, öffnete die Befestigungen, die es an besonderen Punkten hielten, legte die Teile in die Schachtel, verschloss sie und platzierte sie in einem Versandkarton. Die normale Zeitspanne für diesen Prozess lag bei etwa fünfundzwanzig Sekunden – das ergab hundertfünfzig Einheiten pro Stunde. Alle zwei Stunden bekam der Arbeiter eine Pause.
Kolodkin und eine Gruppe von Inspektoren achteten darauf, dass die Gussteile perfekt aus den Maschinen kamen. War ein Teil falsch gegossen oder erschien „Fischhaut“ zwischen den Formhälften, wurde die Maschine unmittelbar heruntergefahren und das Problem behoben. Giammarino (einer der Gründer von Aurora ) besuchte den Formenraum regelmäßig. „Er war ein Pedant, wenn es um Details ging“, sagte Kolodkin. „Wenn er durch die Halle ging und einen Tropfen Öl sah, machte er einen Höllenaufstand und ließ die Maschine sofort anhalten.“
Wegen dieser Vorsichtsmaßnahmen mussten die Maschinen nur heruntergefahren werden, wenn sie von den hauseigenen Maschinisten repariert wurden oder wenn eine Auflage von Bausätzen komplett war und die Form gewechselt werden musste.
Das Auswechseln der Formen dauerte zwischen vierzig Minuten und zwei Stunden. Ein Kettenzug wurde hereingerollt, die Form entriegelt, herausgehoben und dann zu ihrem Ablageplatz auf den Regalen gebracht, die rundum an den Wänden standen. Formen für besonders populäre Bausätze hatten günstige Ablageplätze, während die seltener eingesetzten Formen in abgelegene Ecken der Halle kamen. Wenn eine neue Form von Ace oder Ferriot (Formenhersteller) in die Maschine kamen, wurde sie gründlich getestet und eingerichtet, bevor die Produktion begann. Manchmal musste eine Form mehr als ein Dutzend Mal ausprobiert werden, bevor sie richtig funktionierte.
Jeden Nachmittag um vier kam der Leiter der zweiten Schicht, und Kolodkin sprach mit ihm den Produktionsplan für den Abend durch. Um sieben besuchte Kolodkin Giammarino noch zu einer Abschlussbesprechung über die Tagesarbeit, dann ging er nach Hause. Oft genug klingelte indes nachts um zwei sein Telefon, und dann sagte der Leiter der Nachtschicht: „Ein Auswerfer an Maschine drei ist gebrochen, kannst du rüberkommen und das reparieren?“ Kolodkins Weg zur Firma betrug etwa zehn Minuten, und häufig fuhr er sie durch die Nacht.

Schmidt
Restaurierung eines Werftmodells aus dem Jahre 1912 jetzt als Webseite: http://kaiserfranzjoseph.de/
Über das Bemalen mit Humbrol- und Ölfarben: http://www.wettringer-modellbauforum.de/…9193#post739193

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Freitag, 12. März 2021, 18:18

Dem kann ich nur zustimmen. Empfehlenswert !
Graham hatte auch sehr lesenswerte, umfangreiche Bücher zu anderen Modellbaufirmen, zum Beispiel Revell, veröffentlicht.
Mit das Interessanteste ist zu sehen wie viele heute unbekannte, teils sehr ungewöhnliche Bereiche der Bausatzbereich tatsächlich umfaßte ... weitaus mehr als wir heutzutage in den Geschäften und im Netz kaufen können.
Es ist auch sehr interessant zu sehen, wieviele ehemalige Aurora-Kits in den letzten Jahren von anderen Firmen wieder aufgelegt wurden.
Gerade zukünftige Modellbauergenerationen, außerhalb des Schiffegenres ist ja eine hohe Entwicklungstätigkeit zu beobachten, werden dieses Standardwerk sehr zu schätzen wissen.
Viele von denen wenden sich erst im gereifteren Alter dem doch sehr komplexen Schiffebau zu.

Sehr bemerkenswert finde ich, daß uns Modellbauern erst seit etwa der Jahrtausendwende Materialien, insbesondere um den Bereich Finish/Farbe, zur Verfügung stehen um diesen alten Kits wirklich gerecht zu werden. Was früher oft ohne Farben nur geklebt wurde oder mit wenigen Farben eher nur spielzeugmäßige Ergebnisse brachte kann heute oft zu einer prachtvollen, realistischen Miniatur werden. Mit modernen Bemaltechniken merkt man erst wie gut und detailreich der damalige Formenbau bereits war ... nicht immer ... aber oft.
Grüße aus dem "Wilden Süd-Westen"
Markus

"When all else fails ... Read the instructions" ( LINDBERG 1965 )

Youth, talent, hard work, and enthusiasm are no match for old age and treachery !
( In memoriam Prof. John A. Tilley, † 20.07.2017 )

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