ein paar zusätzliche Infos quer durch die Bausatzwelt der Kunststoff Saint Louis Kits 1. Teil
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ie Saint Louis mit den Augen Landströms ... Boxtops im Vergleich
Im konkreten Fall der Saint Louis existieren die schon von Schmidt vorgestellten Graphiken aus dem 16/17. Jahrhundert auf denen in mehrfacher Variation voller Stolz die in Holland zugekauften Neubauten der französischen Flotte unter Kardinal Richelieu fein detailliert gezeigt werden. Diese Dateien finden sich im Netz teilweise in sehr hoher Auflösung mit wirklich erstaunlichen Details.
Es handelt sich in erster Linie um das Schiff "Saint Louis" von 1626 in verschiedenen Stadien von der Überführungsfahrt, noch unter holländischer Beflaggung, bis hin zum Einsatz in Frankreich. Historisch hatte das Schiff mehrere Namen.
DIverse feine Unterschiede in den Graphiken zeigen mögliche Unterschiede ... entweder in der Wahrnehmung der Zeichner / Kopierer oder auch möglicher kleinerer Variationen im doch recht langen Schiffsleben von 1626 bis 1641 ... andere Quellen datienren sogar bis 1649/50.
Der wohl berühmteste Kopierer (nein nicht Xerox), besser Neuinterpretierer der Neuzeit ist sicherlich der Schwede Björn Landström
Dessen überaus anschauliche und farbenfrohe Graphiken lassen uns sehr viele oft vergessene Schifftypen mit heutigen Augen neu erleben.
Sein vermutlich bekanntestes Buch "Das Schiff" ist ein über 300 Seiten gehendes Werk vom Anbeginn des Bootsbaus bis hin zu den modernsten Schiffen der Neuzeit ... bis Stand 1961.
Oft verwendete er als Vorlagen ganz einfach alte Stiche, Graphiken und Modelle ... so auch bei der Saint Louis die schon oben beschriebenen.
Der Saint Louis verpaßte er mit der ihm typischen Akribie und einem bis heute sehr ansprechenden Farbfinish eine ausgesprochen attraktive Erscheinung, die dem damals wohl wichtigsten französischen Schiff gut gestanden hätte.
Zur Erinnerung hier nochmals der Link innerhalb des Forums in den anderen Baubericht
Wer weiß .. vielleicht befriedigte er damit auch nur eine im historischen Background existierende Erwartungshaltung ... oder auch Schönheitsideal.
Egal wie ... das Blau mit güldenen Applikationen war sicherlich eine gute Wahl hinsichtlich der Corporate Identity französisch royaler Farben ... symbolisiert es doch bis heute in stark vereinfachter Form Schönheit, Eleganz eines feudalen französischen Imperiums.
Landströms Bild ist aber keine exakte Kopie der historischen Graphik sondern etwas stärker geneigt mit besserer Sicht auf die Decks und eigenen kleinen Interpretationen diverser Details.
Im Nachhinein wird das Blau an Schiffen dieser Epoche sehr kontrovers diskutiert ... was aber nichts an der Attraktivität der Farbgebung als solches ändert.
Da es sich um ein sehr attraktives Farbschema handelte wurden auch die Modellhersteller darauf aufmerksam .
Wer auch immer sein Modell mit dieser Farbkombination anstrich konnte einfach sicher sein, daß er da ein Modell eines Königs würdig geschaffen hatte.
Sex sells und Königsblau mit Gold ist da bei einem Schiff fast unschlagbar.
Die Boxtops:
PYRO war die erste Firma im Plastikmodellbereich, die das Landström-Farbschema so übernahm.
Im Jahr 1966 erschien der Kit " Saint Louis French Man O War".
PYROs Deckelbild erinnerte durch das Farbschema auf den ersten Blick frappierend an Landström.
Es war aber nur das Farbschema ... denn bei genauerer Betrachtung orientiert es sich auch im Darstellungswinkel viel mehr an der zugrunde liegenden Graphik aus dem 17. Jahrhundert.
PYROs Deckelbild war in der Hinsicht, daß sie das Schiff einem Modell gleich aus dem Wasser nahmen und mit vollem Rumpf darstellten, sehr mutig.
Hinzu kommen noch ein paar individuelle Eigenheiten die vermutlich die Eigenheiten des Modells rechtfertigen sollten.
Da wäre zum Beispiel die eigenwillige Neuinterpretation des Seitengalerie, der Laterne und der unglücklich nach unten abknickende Galionsbereich . ( Im Modell stimmt der glücklicherweise wieder)
Damit sind schon ein paar gravierende Unterschiede sowohl zur Originalgraphik als auch zu der Landströms geschaffen, dessen Farbschema weitgehend übernommen wurde ... allerdings erweitert durch diverse in Rot gehaltene Bereiche. Mit dem Rot lag PYRO historisch auf einer wahrscheinlich korrekteren Linie als Landström.
Der PYRO-Kit wurde in den frühen 70ern von der Nachfolgefirma LIFE-LIKE wieder aufgelegt.
Nach LIFE-LIKEs Ende wurden die Formen von LINDBERG übernommen.
Erstauflage 1980 #855
LINDBERG setzte zusätzlich ein paar Segel und das Schiff wieder ins Wasser... leider ausgesprochen hochbeinig .. da hätten sie besser mal die 500 Jahre alte Originalgraphik genauer angeschaut.
Es wurde in einer Kooperation 1983 bei REVELL einmal aufgelegt #5415.
LINDBERG selbst verwendete die Form wieder in eigener Auflage ab 1990 ( #70855) als Saint Louis
und seit 1994 als "Henry Morgan" Piratenschiff als zweiten Vertriebsweg ... in verschiedenen Verpackungen bis heute.
Seit der Jolly Roger Serie, ab etwa 2015, sieht man sie aus deutlich tieferer Perspektive ... noch immer mit Hochwasserhosen ... die historische Graphik wurde aufgegeben ... und noch immer im klassischen blau-weiß-roten Farbschema aus den 60ies ... und wundersamer Vergrößerung des Maßstabs auf 1/130 ( Papier ist ja sooo geduldig )
HELLER folgte mit einer eigenen "Le Saint Louis" im Jahr 1978, der Rumpf war identisch mit der 1977 erschienenen "La Couronne", historisch war die Couronne aber ein Nachbau der Saint Louis
Auch bei Heller ist man auf den ersten Blick von Landströms Farbschema gefangen .. das hatte er wirklich gut gemacht.
Was auf den ersten Blick wie eine Spiegelung von Landströms Bild wirkt basiert, wie auch das Landströmbild selbst, bei genauerer Betrachtung in vielen Details auf der Originalgraphik ...
Dazu kommt eine enorme Zahl HELLER-typischer Eigenheiten die sich gravierend sowohl von der Originalgraphik als auch vom Landström unterscheiden.
Sei es die reduzierte Zahl der Decks, die Laternen, die Seitentaschen, Türmchen, Deckskrümmungen, Galion, praktisch alle Geländer, Zurrings, Mastwicklungen ... man kann fast nicht aufhören.
Die neuen HELLER Saint Louis Kits haben übrigens alle eine vom klassischen Vorbild abweichende vollkommen neue Deckelgraphik.
AIRFIX ... der Dritte im Bunde ...
1973 trat mit AIRFIX´ "The Saint Louis" ein weiterer Akteur aufs Parkett ... weitere bekannte Wiederauflagen 1975 und 1988.
Wieder durfte Landströms Corporate Identity Farbschema glänzen.
Vielleicht hätte sonst keiner geglaubt, daß es die Saint Louis sein soll ?
Die Graphik ist vollkommen neu ... aus gänzlich anderem Betrachtungswinkel und nimmt doch die wesentlichen Elemente der historischen Graphik auf.
Erfrischend zu sehen, daß man gelernt hatte, daß in einer wirklichkeitsgetreuen Darstellung bei weitem nicht alle Stückpforten vollkommen unrealistisch offen stehen müssen.
Auch AIRFIXs Zeichner baut natürlich typische Elemente des Modells ein um die Eigenheiten des Bausatzes zu rechtfetigen.
Da wäre eine weitere Interpretation der Seitentaschen und Toilettentürmchen, der sehr mager detaillierte Bugbereich, die Zahl der Eingangstüren in den oberen Decks, die Laterne, und noch diverse weiter Zierbänder und stark vereinfachte Geländerelemente.
Später mehr zu den Kits selbst.
FAZIT:
Unglaublich wie sehr ein prägnantes Farbschema zu einer Vereinheitlichung beiträgt und so effektiv von Details ablenken kann.
Kein Wunder, daß sich in späteren Jahrhunderten Schemata wie der Nelson-Checker oder auch moderne Camouflage-Tarnanstriche so erfolgreich durchgesetzt haben.