Hallo Roland,
meine Arbeitsweise ist wahrscheinlich sehr unortodox – wahrlich. Ich muss die Teile immer am richtigen Ort sehen und auf mich wirken lassen, so lange bis ich weiß, dass "es" stimmt. Das heißt Teile festheften, ankleben usw. Und natürlich wieder ausbauen, da ich meistens noch öfters an die Teile drangehe. Das Oberdeck habe ich bestimmt schon zwei duzend Mal ein- und ausgebaut, kann ich mittlerweile im Schlaf :-)
Viele Aspekte erkennt man nur bei längerer Beschäftigung: Ohne die Öffnung der Heckstückpforten und den Innenausbau wäre mir die falsche Position nie aufgefallen, diese Ecke am Heck war sogar eine der wenigen, auf der ich die (damals) schon finale Farbe aufgetragen hatte – Man sieht am Bild was aus dem Anstrich geworden ist :-)
Auch die Seitentasche war steuerbords schon eingebaut und verputzt, bis mein Unbehagen über die dicken Fensterstreben mich – nach langem inneren Zweifeln – dann doch das Teil mit spitzen Skalpell wieder abmontieren ließen. Jetzt bin ich froh über das Wagnis.
Auch die Farben mussten sein, mussten gesehen werden, da ich mir nie sicher war, ob es meinen Vorstellungen entspricht.
Die letzten 35 Jahre waren Modellbau und Lösungsmittel für mich untrennbar verbunden. Mittlerweile machten mich die Revellfarben doch immer unzufriedener, sowohl vom Farbauftrag wie vom Geruchsbelästigungsgemecker der Familie, von der Gesundheit ganz zu schweigen.
Auch die Maserung fand ich am Anfang ganz toll! Als mir dann nach der Beschäftigung mit dem Modell der Maßstab aufging, kam der Umdenkprozess. Zusammen mit der Farbfrage war es plötzlich eine reine Bauchentscheidung, dass, egal wie der Aufwand wird, das für mich entschärft werden muss :-)
So werde ich jetzt die Maserung wegmachen und einen Neubeginn mit anderen Farben machen. Mein jetziger Favorit sind die Farben von Citadell (hab ich über meinen Sohn bei Herr der Ringe/Warhammer Tabletop kennengelernt). Den richtigen Farbton hab ich dort auch gefunden. Durch meine lange Bauzeit benötige ich Farben, die ich noch in langer Zeit nachkaufen kann – Mischen ist strategisch ungünstig, bei der Soleil ist mir ein Mal der Hauptfarbton ausgetrocknet :-(
Die Farben des Originals sind nicht so hochglänzend wie oft im Modell dargestellt. Durch die leichte Rauheit im darunterliegenden Holz und den Umwelteinflüssen ist es heute im Original eher ein seidenmatter Ton.
Die von mir gewählten Farben sind matt, wenn man diese mit Watte etwas aufpoliert hat man ungefähr den Glanzgrad der aktuellen Bemalung. Stellen, an die man beim Polieren nicht drankommt, bekommen so auch etwas Tiefe. Mehr werde ich wahrscheinlich in der Alterung an diesen Stellen auch gar nicht machen. Insgesamt werde ich nur sehr dezent altern (das Schiff natürlich), am Liebsten nehme ich dazu Pastellkreidenstaub, aufgetragen mit Wattebausch, Q-Tip oder Pfeifenreinigern je nach Fläche. Gibt bei Holz mit Dunkelbraun einen wunderschönen matten Holzton, bei Grafit/Schwarz gute Tiefe bei Metall.
Auf der ganzen Victory ist im Original an der Außenwand keine einzige Holzstruktur zu erkennen, das Oberdeck ist auch so glatt, dass es Plastik sein könnte. Das einzige richtige organische und lebendige Holzgebilde ist das untere Batteriedeck (mit hoher Wahrscheinlichkeit eines der wenigen Originalteile von 1765). Spalte zwischen den Planken gibt es sowieso keine, es zeichnen sich an den Bordwänden durch die Kalfaterung sogar leicht erhabene Strukturen ab (fast wie die erhabenen Gravuren beim alten Modell der Golden Hind von Revell).
Auch ist auf alten Fotografien selbst in Zeiten der Vernachlässigung des Schiffs kaum sichtbare Spuren der Alterung zu erkennen. Immer alles gut mit Farbe zugekleistert. Kein Vergleich zum Bild der Rose, das man im Internet finden kann und wo der Kahn vollkommen abgewrackt im Hafen liegt, fast wie nach der ersten Schlacht mit dem Franzosen.
Anbei noch ein schneller Schuss meiner Holzversuche:
In den ehemaligen schwarzen Streifen sieht man, wie viel ich geschliffen bzw. mit dem Rücken einer Cutterklinge abgezogen habe. Nach dem neuen Anstrich erscheint die Struktur nun fast so, wie wenn man auf Bucheleisten gemalt hätte. Ich war angenehm überrascht, ich denke ein guter Kompromiss.
Anbei noch mein erster Versuch der Gunport Wriggles, also der Wasserabweiser oberhalb der Stückpforte (weiß jemand, wie das Teil in Deutsch heißt?). Ist noch weit weg vom Zustand den ich gerne hätte, wird aber bestimmt noch.
lieber Gruß, Daniel