lieber Marcus,
vielen Dank für deinen Beitrag und dafür, dass du dich so ausführlich mit meinem kleinen Schiff beschäftigst. Ich sage das jetzt mal ganz frei heraus: Vermutlich hast du Recht damit, dass die allermeisten Staatenyachten in diesem Bereich der Bugwand keine reliefartigen Schnitzereien, sondern gemalte Ornamente trugen. Die Gründe dafür hast du selbst angegeben. Allerdings waren die Malereien auch nicht ganz billig. Von der Staatenyacht Mary, die in der Mitte des 17. Jahrhunderts dem englischen König geschenkt wurde (von der Stadt Amsterdam?) hat sich die Kostenliste erhalten; und daraus geht hervor, dass der Zierrat teurer war als das Schiff! Schnitzereien müssen nicht unbedingt teurer gewesen sein als Malereien, wie wir heute denken, denn die Farben, zumal für größere Areale, waren ein enormer Kostenfaktor, im Gegensatz zum Holz. Würde es ganz nach mir gehen, dann bekäme die kleine Yacht auch gemalte Akantus-Ornamente. Aber das, was ich da zuwege bringe, gefällt mir leider nicht.
Warum? Die Malereien waren damals immer so ausgeführt, dass sich ein dreidimensionaler Eindruck ergab. Dazu muss so eine florale Linie aus mehreren parallelen Linien in verschiedenen Farben und Helligkeiten bestehen. Das aber kriege ich mit einem noch so feinen Pinsel in diesem Maßstab nicht hin. Meine Ornamente sind mir immer zu flach geraten – daher die Bezeichnung Graffiti. Die neue Technik soll daher gewissermaßen bewirken, durch dreidimensionale Elemente den Eindruck zu erwecken, es handele sich um Malerei, die den Eindruck dreidimensionaler Elemente erweckt. (Ich habe den Satz mehrfach durchgelesen und, ja, genau das meine ich!)
Modellbau ist für mich nun mal im Wesentlichen dreidimensionale Malerei, und da geht es manchmal eben nicht darum, mit den originalen Techniken/Materialien zu arbeiten, sondern darum, Eindrücke zu erwecken und Materialien zu imitieren.
Schließlich noch eine notwendige Korrektur. Ich baue jetzt (Asche über mein Haupt) an drei Yachten gleichzeitig: eine mit dem Akantus-Bord, eine mit den neu geschaffenen Figuren zum Üben und eine mit den neu geschaffenen Figuren als Zielobjekt; letztere beide ohne Bordwand-Ornamentik. Ich brauche nun einmal immer Material, um insbesondere Farbwirkungen so realistisch wie möglich sehen und einschätzen zu können. Daher die Technik des dauernden Abformens, die zwar viel Ausschuss zurücklässt, aber dafür sorgt, dass ich immer auf das nächstuntere Level zurückkehren und dort neu beginnen kann.
Nochmals herzlichen Dank für das Lob. Ich muss dazu allerdings sagen, dass ich fast alles von dem, was ich heute praktiziere, selbst irgendwo gelernt, sprich: abgeguckt habe. Ich werde nie vergessen, wie mir der Chef von Artitec in seiner Amsterdamer Firma die Modelle für das Texel Diorama zeigte und mir dazu seine Maltechnik erläuterte. Vermutlich würde ich, auch wenn mein Bastlerleben noch fünfzig Jahre währte, von mir aus niemals auf die Idee kommen, ein fertig bemaltes Modell mit pechschwarzer Ölfarbe zu bepinseln. Und was das Abgießen angeht: Es gibt Genies, die von vorn herein wissen, wie es geht, und es gibt die anderen, die über sehr viel error und noch mehr trial zu akzeptablen Ergebnissen kommen. Für die letzteren ist die Abgusstechnik ideal.
Jetzt aber rasch in den Keller, die Liga wird angepfiffen, und zwei der drei kleinen Yachten dürften über Nacht so weit getrocknet sein, dass ich weiter daran arbeiten kann. Bei der Gelegenheit wird es auch erste Versuche mit Faltenröcken bzw. mit FKK-Roben geben.
Schmidt