2. Geschichte
Ernst Heinkel, der schon im ersten Weltkrieg erfolgreiche Kampfflugzeuge für die Albatros-Werke und Hansa-Brandenburg schuf, gelang es 1934 mit seiner He 51, einen Liefervertrag für die sogenannte "Reklamestaffel Mitteldeutschland" zu ergattern. Aus dieser zivil getarnten Staffel wurde im März 1935 die deutsche Luftwaffe. Neben der Arado Ar 65 bildete die He 51 die Jäger-Erstausstattung.
Im Zuge einer immer offener betriebenen Rüstungspolitik schrieb das soeben geschaffene Reichsluftfahrtministerium (RLM) im Mai 1934 ein Jagdflugzeugwettbewerb ("Rüstungsflugzeug IV") aus, um die inzwischen veralteten Doppeldeckermodelle zu ersetzen. Es beteiligten sich Arado mit der Ar 80, Focke-Wulf mit der FW 159 (beides relativ konventionelle Entwürfe) sowie Heinkel mit der He 112. Später stießen noch die Bayerischen Flugzeugwerke (BFW) mit der Bf 109 hinzu. Hinter letzterem Entwurf steckte ein gewisser Willy Messerschmitt, der mit der Bf 108 "Taifun" gerade für ordentlich Furore gesorgt hatte. Im Oktober 1935 begannen Vergleichsflüge, in dessen Ergebnis Heinkel und BFW den Auftrag für je 10 Vorserienmaschinen erhielten; man konnte sich einfach (noch) nicht entscheiden. Nach gründlichen Tests wurde schließlich die Bf 109 ausgewählt.
Die Luftwaffe verfügte nun über einen modernen und vor allem schnellen Jäger. Was lag da näher, als das der Welt auch zu zeigen? Auf dem IV. Internationalen Flugmeeting Zürich, das vom 23.07. bis 01.08.1937 in Dübendorf stattfand, sicherte sich BFW-Werkspilot Francke mit seiner Bf 109 V13 (Werknummer 1050, D-IPKY) den Sieg bei der Geschwindigkeits-, dem Steig- und dem Sturzflugwettbewerb. Ferner gewannen die anwesenden 109er den Alpenrundflug in Dreierformation, zwar nur knapp vor 3 Avias B-534, aber immerhin.
Etwas überraschend wurde Franckes „D-IPKY“ schon am 29.07.1937 wieder nach Augsburg-Haunstetten beordert, um sie einer Auffrischungskur zu unterziehen. Inoffiziell hat man bei BFW wohl gefürchtet, dass die Schweizer der falschen Deklaration des Motors - es handelte sich nämlich nicht um einen Vergasermotor DB 600, wie offiziell angemeldet, sondern einen nagelneuen DB 601, dem ersten serienmäßig hergestellten Motor mit
Benzin-Direkteinspritzung - auf die Schliche kommen würden. Bei dieser „Auffrischung“ wurde der Dübendorfer DB 601 A-0 (etwa 1.100 PS, 810 kW) durch einen speziellen Rennmotor DB 601 Re III ersetzt, der 10 Minuten lang 1.600 PS (1.176 kW) und 5 Minuten Lang 1.660 PS (1.220 kW) leisten konnte. Mit diesem Motor hoffte man, den Geschwindigkeitsrekord über die 3 km-Strecke, der seit dem 13.09.1935 mit 567,115 km/h von einem gewissen Howard Hughes mit seiner eleganten Hughes Special 1B gehalten wurde, erringen zu können. Wohlgemerkt handelte es sich nicht um den absoluten Rekord, den hielt nämlich seit dem 23.10.1934 der Italiener Francesco Agello mit 709,209 km/h, erflogen auf einer Macchi MC.72 - einem Wasserflugzeug! Wie dem auch sei, am 11.11.1937 war die Bf 109 V13 bereit und um 14:09 Uhr startete Chefpilot Dr.-Ing. Hermann Wurster zum Rekordflug entlang der Bahnstrecke Augsburg-Buchloe. Er durchflog die 3 km-Strecke in einer Flughöhe von 35 m insgesamt 6 mal, 3 mal in jeweils entgegengesetzten Richtungen. Der Regel entsprechend wurden die 4 schnellsten zusammenhängenden Durchflüge gewertet und aus den Geschwindigkeiten das arithmetische Mittel gebildet: 610,95 km/h! Geschafft, denn es war deutlich mehr als die zur Anerkennung erforderlichen 8 km/h „Mehrwert“. Das Versteckspiel mit den Angaben ging munter weiter; bis auf den Namen des Piloten und die erflogene Geschwindigkeit waren alle anderen Angaben, die der
FAI gemeldet worden, falsch: Flugzeugtyp Bf 113 R vs. Bf 109 V13, Motor DB 600 vs. DB 601 Re III.
Heinkel indes hatte an seinem Misserfolg mit der He 112 zu knabbern. Zwar produzierte er etwas über 100 Exemplare dieses Musters, die jedoch kaum bei der Luftwaffe, sondern überwiegend im Ausland flogen (Japan, Spanien, Ungarn, Rumänien). Um wieder mit der Luftwaffe ins Gespräch zu kommen, schwebte ihm vor, einen neuen Verfolgungsjäger mit dem DB 601 und überlegener Leistung zu bauen. Um seine Chancen zu erhöhen, sollte aus diesem Jäger auch eine Rekordversion abgeleitet werden. Das Projekt erhielt die Nummer P 1035 und wurde im Dezember 1937 in He 100 umbenannt. Am 22.01.1938 erfolgte der Jungfernflug der He 100 V1 (Werknummer 1901, D-ISVR) unter Flugkapitän Gerhard Nitschke, am 17.05.1938 flog die He 100 V2 (Werknummer 1902,D-IUOS) erstmals. Und schon am 05.06.1938 tauchte dann, „völlig überraschend“, der Chef des RLM, Ernst Udet, bei den Heinkelwerken in Warnemünde auf und erflog mit der He 100 V2 „quasi im Vorübergehen“ einen neuen 100-km-Rundstreckenrekord von 634,32 km/h. Soweit die Legende; tatsächlich hat Heinkels Karl Schwärzler wohl kurz zuvor ein für Udet maßgeschneidertes Sitzkissen in Auftrag gegeben, so dass der Besuch offenbar doch nicht soooo überraschend kam... Des weiteren heißt es, Udet habe bei seinem Flug von aufleuchtenden roten Lampen im Cockpit berichtet. Da er nicht wusste, was die zu sagen hätten, habe er sie einfach ignoriert. Die Heinkel-Techniker wurden augenblicklich leichenblass: Die Lampen gehörten nämlich zum Kühlsystem, das offenbar wieder einmal nicht richtig gearbeitet hat - jeden Moment hätte der Motor mit Kolbenfresser seinen Dienst quittieren können! Der
FAI wurde in der Rekordmeldung als Motor korrekterweise der DB 601 angegeben, als Flugzeugtyp jedoch He 112 U. U wie Udet...
Diese Aktivitäten sind Messerschmitt natürlich nicht verborgen geblieben, auch er wollte Geschwindigkeitsrekorde. Doch er ging genau den umgekehrten Weg: Das Projekt P 1059, später Bf (bzw. ab Mitte 1938 Me) 209, sollte ein Rekordflugzeug werden, aus dem ein Jäger abgeleitet werden konnte. Letzteres resultierte aus einer Forderung des RLM, das die Finanzierung übernehmen sollte, war jedoch in Wirklichkeit kaum mehr als ein Feigenblatt, denn die Me 209 war einfach zu extrem. Das zeigte sich schon beim Erstflug der Me 209 V1 (Werknummer 1185, D-INJR) am 01.08.1938 unter Chefpilot Dr. Wurster. Die Flugeigenschaften wurden mit „kriminell“ (=lebensgefährlich) beschrieben, und es hieß, das Flugzeug würde dem Piloten gezielt nach dem Leben trachten. Zu den Problemen zählte, dass der Luftschraubenstrahl auf Grund der hohen Leistung pro Propellerfläche aufplatzte und Luft zurücksaugte, dass die, bei Heinkel ebenfalls vorgesehene und gleichermaßen problembehaftete, Verdunstungskühlung nicht richtig funktionierte (dazu wurden Teile der Außenhaut zwar dicht genietet, stellten sich aber nicht als dichtgenietet heraus :-)), die Kabinenbelüftung nicht einwandfrei war und daher einen Dauergebrauch der Atemmaske erforderte, die Sicht durch die extreme Rücklage der Kabine eingeschränkt, die Maschine im Steigflug instabil war und auch sonst zu abruptem Abkippen tendierte. Bei Vollgas neigte sie zu einer 180°-Rolle, die Fahrwerksabdeckungen öffneten sich und die Tankdeckel hoben ab. Beim Landeanflug zeigte die Maschine einen extremen Hang zum Abkippen über den Flügel, sie musste daher schon so niedrig sein, um „auf ein Rad zu fallen“. Und beim Bremsen neigte sie zum Ausbrechen. Der Motor rüttelte schon mal ein paar Schrauben los, die ein Techniker dann diskret wieder einsammeln musste. Schließlich hatte Dr. Wurster „die Schnauze voll“ und er übergab das Steuer an Nachwuchspilot Fritz Wendel, der das Flugzeug „böses kleines Biest“ und hinter vorgehaltener Hand sogar „Missbildung“ genannt haben soll.
Daimler-Benz war in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben. Der mittlerweile in der Erprobung stehende DB 601 E erreichte immerhin eine Startleistung von 1.300 PS (956 kW). Im April 1938 erging der Auftrag, aus ihm 20 Wettbewerbsmotoren für Renn- und Langstreckenrekorde abzuleiten. Kein Mittelchen blieb unversucht, noch ein wenig mehr Leistung herauszukitzeln: Erhöhung von Verdichtung und Ladedruck , höhere Drehzahlen, Sonderkraftstoff C2, einer MW 50-Anlage usw. Am Ende brachte der DB 601 Re V 2.770 PS (2.037 kW) bei 3.100 U/min für ganze 5 Minuten (!) auf den Prüfstand, bei geringerer Leistung entsprechend länger, aber geschätzt höchstens eine halbe, im aller-allerbesten Falle eine ganze Stunde lang.
Derweil ging die Erprobung der Rekordmaschinen He 100 V3 (Werknummer 1904, D-IDGH, 42C+11) und Me 209 V2 (Werknummer 1186, D-IWAH) weiter. Im September 1938 klemmte das Fahrwerk der He 100 V3 - eines der Probleme des Entwurfs; eine Seite teilweise aus-, die andere noch immer eingefahren. Ein Landeversuch wäre fatal bis tödlich gewesen. Kein Trick half und dem Piloten Gerhard Nitschke blieb nur, hochzuziehen und mit dem Fallschirm auszusteigen. Kaum dem Cockpit entstiegen, wurde er vom Ruder getroffen. Er landete am Ende zwar sicher, allerdings mit gebrochenem Schlüsselbein. Die Maschine war ein Totalschaden, übrigens der einzige bei der gesamten Erprobung der He 100. Heinkel reagierte schnell und bestimmte die He 100 V8 (Werknummer 1905, ebenfalls D-IDGH) zum neuen Rekordbrecher, mit Rennhaube, kurzen Tragflächen und allem drum und dran. Am Donnerstag, den 30.03.1939, war es dann soweit: In einer Sondermeldung verkündeten die Radiosender, dass der absolute Flugzeug-Geschwindigkeitsweltrekord soeben erstmals nach Deutschland geholt wurde. Heinkels Nachwuchspilot Hans Dieterle erreichte bei seinen Durchflügen der 3 km-Teststrecke bei Oranienburg durchschnittlich 746,604 km/h! Der Flugzeugtyp wurde mit
"He 112 U" angegeben...